Bei dem zweiten Vortrag unserer Veranstaltungsreihe stellte uns Frau Prof. Dr. Hess die Dynamiken und Konturen des europäischen Grenzregimes post-2015 vor. Frau Hess ist Professorin am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Universität Göttingen sowie Direktorin des Centers for global Migration Studies. Aus der Perspektive der Grenz- und Migrationsforschung schilderte sie die Reaktionen der europäischen Politik auf die Fluchtbewegung 2015 und setzte sie in den Kontext sich bereits davor abzeichnender Entwicklungen:
Schon vor 2015 war eine Versicherheitlichung des Grenzschutzes erkennbar. Aber die Flucht war für schutzsuchende Menschen leichter – es gab humanitäre Korridore, wie z.B. die Balkanroute, auf der flüchtende Menschen Grenzen überqueren konnten. Mittlerweile sind hingegen eine zunehmende Befestigung der Grenzen und der vermehrte Einsatz von direkter Gewalt durch Grenzschutzbeamte und paramilitärische Einheiten, z.B. bei pushbacks auf dem Mittelmeer oder an der bosnisch-kroatischen Grenze, zu erkennen. Zudem werden Menschen, die es geschafft haben, die Grenze zu überqueren, auf nicht absehbare Zeit in Lagern festgehalten. Die Wirkung der dahinterstehenden Idee der Abschreckung ist allerdings wissenschaftlich widerlegt – die Menschen wissen um die Gefahren und machen sich dennoch auf den Weg.
Europäische Regierungen verstoßen dabei aktiv und wissentlich gegen europäisches Recht. Die Rechtsverstöße sind durch NGOs und Journalist*innen genauestens dokumentiert, z.B. auf der Website https://pushbackmap.org/ Dass europäische Regierungen trotz großer Öffentlichkeit so verfahren (können), lässt sich nur mit der Zunahme autoritärer, anti-demokratischer, rassistischer und nationalistischer Strömungen in Europa erklären. An der physischen Grenze zeichnet sich daher auch eine Grenze der Demokratie ab.
Der Vortrag ist zum Nachhören auf unserem Youtube-Kanal verfügbar: https://www.youtube.com/channel/UCl3L_VJPKvgLtw1DemPINJg